Mein Impuls, hier etwas zu schreiben hat immerhin schon einmal Schlafen überstanden und so wage ich es, bei allen Risiken zum Missverständnis.*
Ich stimme mit großen Teilen Deiner Beschreibung überein:
- Machtverhältnisse müssen bei derartigen Tansfomationen berücksichtigt werden, werden in den "best practice stories" und Heilslehren in der Regel tabuisiert; ich vermisse bspw. gerade in der WOL-Szene einen kritischen Diskurs
- Energetisierende Veränderer stehen unter "latentem Beschuss"; schade, dass die militärisch-martialische Sprache hier angemessen erscheint
- ·Es werden zu wenige "failure stories" veröffentlicht und dafür muss es (auch) Verständnis geben; ein wichtiger Einwand, der auf ganze Teile der Gesellschaft/Wissenschaft zutrifft (Medizinstudien als prominentestes Beispiel)
Im Grunde drehen sich meine Anmerkungen und schon länger mitlaufenden Gedanken meist um Tabus, Kritik und Theorien.
>> Kritik und Tabus
Ich bin mir nicht sicher, worauf Du mit "Dogmatik" abgezielt hast. Mir scheint es aber so zu sein, dass gerade die Protagonisten aktueller Heilslehren sehr empfindlich auf sachlich begründete Kritik reagieren. Kritiker werden -- sicher sympathisierend -- mal als "auf Krawall gebürstet" bezeichnet (tweet, artikel oder es wird ihnen generell die Legitimation zur Mitsprache aberkannt ( überzeugte Konzernmitarbeiter vs. Freiberufler thread1, thread2 ; ich war übrigens beides).
Im Gegensatz zu Gunther Duecks -- auch schon frühen -- Texte wirken die Ausführungen der von Dir referenzierten jüngeren(!) change agents auf mich weniger kritisch-diskursiv sondern stärker auf Erfolge ausgerichtet. Zeitgeist und mediale Formate (twitter, facebook) haben daran bestimmt ihren Anteil. Dass aber Kritik und ein "Nein" (Christian Lindner betonte jüngst das "konstruktive Nein") in sozialen Medien unterrepräsentiert sind greifen mittlerweile auch Mainstreammedien auf, zuletzt die tagesthemen im Bericht über den CCC 34C3. Kritik und Diskurs werden also eher tabuisiert.
>> Theorien, Analyse und "Pragmatik"
Ohne tief in die Konzepte Metaanalysen einsteigen zu können, scheint mir die Frage noch objektivierten, wissenschaftlich orientierten Reflektionen gerechtfertigt. Bereits ein historisch-vergleichender Blick auf die angeblich so neuen Organisationsphänomene erfolgt viel zu selten. Hier könnte man mühelos aus der Vergangenheit und existierendem Wissen lernen. Dies wird m.E. zu oft als "theoretisch" abgewertet, häufig mit dem Argument, dass der technologische Fortschritt ja ganz neue Möglichkeiten bietet, die ja, eben, neu sind. Dass es sich bei Technologieentwicklung gerade um einen historischen Prozess handelt, der schon immer Organisationsformen und soziale Zusammenhänge umstrukturiert, hat wird von zu wenigen Autoren und Rednern zur Auseinandersetzung mit möglichen Zukünften genutzt (A. Keen, D. Graeber, um nur zwei zu nennen).
Andererseits gibt es Management-Moden seit über 50 Jahren und seit ca. 20 Jahren werden unzählige Studien über angebliche Erfolgsfaktoren verfasst und es erfolgt keine Verdichtung (vgl. Nicolai und Kieser 2002 "Trotz eklatanter Erfolglosigkeit: die Erfolgsfaktorenforschung weiter auf Erfolgskurs). Es wäre zu analysieren, was die Gründe sind. Selbst bin ich ja Wissensmanagement-Veteran und kenne die Problematik mindestens vor diesem Hintergrund sehr sehr gut.
Oft ist die Rede von "Pragmatik" und die finde ich meist zwei Formen vor:
- Pragmatik als Ablehnung der Beschäftigung mit vorhandenem Wissen (Grundlagen, Bücher ;-) Historie, Vergleichbares ) im Gegensatz zu
- Pragmatik als geschickte, fallweise Integration gesicherten Wissens, idealerweise aus mehreren Schulen mit der eigenen Erfahrung sowie es aktuellen Kontextes
Ich unterstelle Dir hier keine Präferenz!
* Generell geht es mir ohnehin weniger um einen Wettstreit oder "Schulterschluss" mit den handelnden, idealerweise bloggenden ;-) Personen, sondern um die Muster und Phänomen für die wir prototypisch stehen. Der Disclaimer muss wohl sein, angesichts der aktuellen schon etwas erhitzten Konversationskultur.
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